Südhessen: RP will Windräder auf 1,4 Prozent der Fläche beschränken (08.02.2019)

Regierungspräsidentin Lindscheid rät den Regionalpolitikern in Südhessen zur kleinen Lösung: So lasse sich der umstrittene Teilplan erneuerbare Energien endlich zu Ende zu bringen.

mch. RHEIN-MAIN. In dem vor Weihnachten eskalierten Streit um Standorte für Windkraftanlagen im Rhein-Main-Gebiet kommt Bewegung. Regierungspräsidentin Brigitte Lindscheid (Die Grünen) hat den Fraktionen in der Regionalversammlung Südhessen vorgeschlagen, den Regionalteilplan für erneuerbare Energien zügig zu beschließen und zunächst nur die zumindest in der Regionalversammlung unumstrittenen Vorrangflächen in das Werk aufzunehmen.

Die Streitfälle tauchten im Plan als „Weißflächen“ auf und würden später über Änderungsverfahren aufgenommen oder verworfen. Akzeptiert die Regionalversammlung dieses Vorgehen, läge binnen Jahresfrist ein Plan vor, wonach auf mindestens 1,4 Prozent der regionalen Gesamtfläche Windparks errichtet werden könnten.

Umgekehrt dürften auf knapp 98 Prozent der Fläche Südhessens keine neuen Windräder mehr entstehen. Denn das politische Ziel der Ausweisung von Vorrangflächen ist nicht nur, in Hessen möglichst viele Windräder zu errichten, sondern auch die wegen ihrer Höhe unübersehbaren Anlagen auf besonders windreiche Standorte zu konzentrieren.

Das einst beim hessischen Energiegipfel 2011 von CDU, SPD, Grünen und FDP verabredete und später von der schwarzgrünen Landesregierung festgelegte Ziel, zwei Prozent der Landesflächen zur Nutzung für die Windenergie bereitzustellen, wird mit dem Vorschlag der Grünen-Regierungspräsidenten nicht erfüllt.

Allerdings sah auch der umstrittene Teilplan- Entwurf, den die Regionalversammlung Mitte Dezember vertagt hatte, lediglich 1, 7 Prozent der Fläche des Regierungsbezirks für Windkraftanlagen vor. Wie die Regierungspräsidentin den Fraktionsspitzen darlegte, ist der Vorteil dieser „Weißflächenlösung“, dass bis Mitte 2020 ein genehmigter Energieteilplan vorliegen könnte. Es gäbe Rechtssicherheit zumindest in Bezug auf die im Plan enthaltenen Standorte.

Alternativ dazu könnte man nur für die Vorrangflächen, die seit der zweiten Offenlage des Plans im Jahr 2017 verändert wurden, noch einmal für Bürger und Verbände öffentlich auslegen und sie um Stellungnahmen bitten, um dann anschließend den gesamten Plan zu beschließen. Laut Lindscheid wäre unter diesen Umständen frühestens Mitte 2022 mit einer Genehmigung des Teilplans für erneuerbare Energien zu rechnen. Voraussetzung wäre allerdings, dass bis dahin weder ein Rotmilan seinen Horst verlegt noch eine Fledermausart ihr Quartier geändert hat. Denn das eröffnete wieder die Diskussion um bereits festgelegte Windradstandorte.

Die Regierungspräsidentin hat darauf hingewiesen, dass sich dann weitere Offenlagen anschließen müssten. Mit anderen Worten: Es wäre kein Ende des Planverfahrens in Sicht.

Das hat im Dezember 2010 mit dem Beschluss begonnen, einen Teilregionalplan zu erstellen. Die Aussicht, dass das Verfahren kein Ende findet, ist auch für die Fraktionen in der Regionalversammlung ein Albtraum. „Wir wollen möglichst bald eine Entscheidung“, teilte CDU-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Röttger mit. Lindscheid habe einen guten Vorschlag unterbreitet, um voranzukommen. Allerdings habe die Fraktion das letzte Wort, die sich in zwei Wochen trifft.

Auch die SPD, die mit der CDU in der Regionalversammlung eine Koalition bildet, kommt erst Ende Februar zusammen. Der Vorschlag sei praktikabel, bestätigt SPD-Geschäftsführer Kai Gerfelder. Allerdings verweist er darauf, dass insbesondere seine Partei von Lindscheid mehr fordert, als nur das Planverfahren geordnet und rechtssicher zu Ende zu bringen.

Befragt nach dem großen Unmut, den der Planentwurf insbesondere im Odenwald auslöst, weil allein dort 3,7 Prozent der Fläche für Windräder vorgesehen sind, hatte Lindscheid dieser Zeitung gesagt: Damit habe sich die Regionalversammlung zu befassen. „Die politische Auseinandersetzung und schlussendlich die Entscheidung über die Flächen hat in der Regionalversammlung zu erfolgen.“ Das sei nicht Aufgabe einer Fachbehörde.

In einem gemeinsamen Antrag hatten SPD und CDU deshalb Lindscheid aufgefordert, schriftlich darzulegen, „wo, wie und in welcher Form die Streichung von Vorranggebieten möglich ist“, ohne die Rechtssicherheit des Plans zu gefährden. Zudem hatten sie öffentliche Veranstaltungen gefordert, in denen den Bürgern die Kriterien für die Standortauswahl erläutert werden sollen. Ausgerichtet von der Hessen-Agentur sollen die Veranstaltungen voraussichtlich in den Kreisstädten Bad Schwalbach, Gelnhausen und Erbach stattfinden. Und zwar in den nächsten Monaten. Folgen die Mehrheitsfraktionen Lindscheids Vorschlag, würde die Regionalversammlung voraussichtlich im Juni den Teilplan inklusive Weißflächen beschließen.

 

RHEIN-MAIN

Letzter Ausweg Teilplan

Von Mechthild Harting

Im Rhein-Main-Gebiet über Windräder zu diskutieren, ist schwierig. Für die einen stehen ästhetische und landschaftliche Aspekte im Mittelpunkt. Bei anderen geht es um energie-, bei dritten um umweltpolitische Überlegungen.

Kein Wunder, dass seit fast einem Jahrzehnt an einem Plan gearbeitet wird, der Standorte für Windkraftanlagen festlegen soll. Die Erarbeitung dieses Plans ist verwaltungstechnisch und -rechtlich ohnehin außerordentlich herausfordernd.

Lange schien es so, als ob der Wille der Landespolitik, zwei Prozent der Landesfläche für Windräder vorzusehen, ausreichen würde, eine feste Grundlage für die Erarbeitung des südhessischen Teilplans für erneuerbare Energien zu bilden.

Spätestens seit vor Weihnachten Bürger in gelben Westen aus dem Odenwald, aber nicht nur von dort, vor der Regionalversammlung aufmarschiert sind und eingefordert haben, endlich beachtet zu werden, ist deutlich: Ein solcher Plan muss in Abstimmung mit der Bevölkerung erarbeitet werden.

Die energiepolitischen Argumente scheinen acht Jahre nach Fukushima und trotz spürbaren Klimawandels die Bürger nicht mehr zu überzeugen. „Aber sie wurden doch gefragt“, werden Kritiker einwenden. Tatsächlich hatten Bürger zwei Mal Gelegenheit, sich zu den Planentwürfen zu äußern. Jeweils 25 000 Stellungnahmen sind eingegangen. Tatsächlich wurde durch den ein oder anderen Hinweis etwa auf den Horst eines Rotmilans ein Windkraftstandort aus dem Plan gestrichen.

Doch das Werk insgesamt wurde nicht in Abstimmung mit Bürgern und Lokalpolitikern erarbeitet, sondern nach der Maßgabe, ein schlüssiges und damit rechtlich nicht angreifbares Plankonzept zu verfolgen.

Offenbar reicht das nicht. Zumal, wenn die Vertreter in der Regionalversammlung, die in den Städten und Kreisen gewählt werden wollen, sich auf die Seite der Bürger stellen, statt die energiepolitische Linie ihrer Partei in Wiesbaden zu vertreten.

Vielleicht hätte man den Plan retten können, wäre er binnen weniger Jahre erstellt worden. Doch das Verfahren dauert seit 2010. Der Vorschlag der Darmstädter Regierungspräsidentin, beim Plan zügig zumindest eine kleine Lösung durchzusetzen, ist sinnvoll und vermutlich das einzig Machbare.

Doch für die Zukunft müssen Regionalpolitiker und Verwaltung lernen, die Bürger einzubeziehen und sie zu überzeugen. So wie es bisher gemacht wurde, funktioniert es jedenfalls nicht.